Wie ich von einer Maus das Leben lernte
Vor Kurzem starb eine Maus.
Genau genommen starben vor Kurzem mehrere Mäuse, aber von einer dieser Mäuse möchte ich erzählen.
Sie hatte mehrere Wochen lang in meiner Küche gewohnt, zusammen mit ihrem Familienclan – und nach einer Phase der Ko-Existenz wurde mir klar, dass Mäuse in der Wohnung ein Problem darstellen, das ich lösen sollte.
Ich probierte alles, wovon ich dachte, es werde funktionieren – Ultraschallgeräusche, die Mäuse vertreiben, spezielle Sprays mit starken Gerüchen, Lebendfallen mit Schokolade und Käse.
Nichts funktionierte.
Nachts lag ich wach und lauschte dem Lärm in meiner Küche.
Tagsüber trug ich die angefressenen Vorräte zum Müll.
Schließlich war klar, dass es so nicht weitergehen konnte.
Ich überwand meine Skrupel, nahm eine Schlagfalle, kleckste etwas Erdnussbutter hinein und spannte sie auf.
Am Abend hörte ich, wie die Falle zuschnappte.
Ein hässliches, lautes Geräusch.
So also starb eine Maus.
Dachte ich.
Denn als ich in die Küche kam, sah ich, dass die Maus noch atmete.
Ich stolperte rückwärts vor Entsetzen.
Tatsächlich gestehe ich, dass ich nicht einen Augenblick damit gerechnet hatte, eine Maus in einer Schlagfalle könne noch leben.
Ich spürte, wie mir mein Körper entglitt.
Mein Erleben verschwamm und verschwand.
Ich rutschte in eine dumpfe, dröhnende Welt aus Kollaps, unfähig, klar zu denken oder zu handeln.
Irgendwo war mir klar, dass ich jetzt etwas tun musste, um die Maus zu retten, aber ich konnte nicht.
Ich konnte gar nichts.
Das Bild von diesem hellen kleinen Bauch, der noch atmete, brüllte mich an.
Ich klammerte mich an den Türrahmen.
„Spüren! Spüren!“
Endlich fiel ich in Bewegung.
Innerhalb eines Wimpernschlags floss die ganze Wucht meines Erlebens wieder in meinem Nervensystem.
„Atmen! Atmen!“
Meine Körperin vibrierte und schüttelte sich ohne Kontrolle.
Ich sprang auf und ab, meine Zähne klapperten, ich zappelte, würgte, hustete, tönte und weinte.
Neben mir starb eine Maus.
Plötzlich floss ihr Leben durch mich hindurch –
ihre Kraft, ihre Angst und ihr Schmerz.
Ich stand in einem Starkstrom aus Freiheit und Sterben zugleich –
– die Welt um mich herum, die Schlagfalle, der Abend, all das löste sich auf in meinem Schwall aus Bewegung, Atmung und Tränen.
An diesem Abend wurde mein Spüren, Zappeln und Schütteln das, was ich TUN konnte.
Das, wozu ich fähig war – in all meiner Unfähigkeit.
Ich schrie und weinte in die Küche hinein.
Als die Welle ruhiger wurde, kribbelte meine Körperin von Kopf bis Fuß.
Ich öffnete die Augen.
Die Maus war tot.
Ich lag eine Weile mit ihr am Boden.
Ich verstand sie so gut, und es brach mir das Herz.
Auch ich, auch wir sind nur diese Maus, die ein Stückchen Erdnussbutter ergattern wollen…
… und denen das Leben das Genick brechen kann.
Solche Geschichten sind nicht schön.
Aber sie sind wahr.
Und es ist essentiell, dass ich ihnen nicht ausweiche –
– sie lehren mich, dass wir beieinander bleiben können – auch dort, wo alle, alle Zeiten vor uns uns im Stich gelassen haben.
Was tun wir damit – in einer solchen Welt, mit solchen Wunden?
Müssen wir wissen, wie man den Tod verhindert?
Müssen wir herausfinden, wie man den Schmerz abschafft?
Nein, all das müssen wir nicht.
Und all das können wir auch gar nicht.
Was wir jedoch können, ist das Folgende:
Wir können uns eingestehen, dass wir kraftvoll sind und mutig,
und dass wir ATMEN können genau dort, wo alle die Luft anhalten.
Wir können spüren, was niemand sehen, geschweige denn SPÜREN möchte…
So lernte ich von einer Maus:
Nachdem sie gestorben war, wollte ich leiden, bereuen und mich selbst klein und nichtig machen –
– sie jedoch gestattete mir das nicht.
Mir blieb nichts anderes… ich LEBTE umso mehr.
Ich kreierte ein Smoothie-Rezept mit Erdnussbutter und musste weinen, als ich schmeckte, wie lecker es war.
Ich dehnte, spürte und massierte meinen Nacken – dort, wo das kleine Körperchen von dem Metall getroffen wurde.
Ich schluchzte und ich jubelte.
So tanzte ich für meine Maus ein DEATH AND DANCE.
Und wenn wir uns sehen und gemeinsam schütteln…
… dann wird eine kleine Maus, mit ihrem hellen Fell am Bauch und mit ihrem klopfenden Herzen im Kreis von uns sein.
„Wie können wir LEBENDIG werden, indem wir RADIKAL HINGEHEN, wo andere flüchten?“
Tigerin, Tiger –
DANKE, dass ich mit meiner Forschung zu dieser Frage nicht alleine bin!