Tantramassage nach sexuellem Missbrauch? #5/Teil 2 – Wie wir das perfekte Setting kreieren

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In #5/Teil 1 habe ich einen Überblick über 18 Aspekte gegeben, in denen wir eine Yonimassage an die Bedürfnisse nach sexuellem Trauma anpassen können. Hier folgt die Darstellung der ersten 4 Aspekte.

Sie betreffen das Setting der Massage und sind:

  • das Tempo
  • die Position im Raum
  • die Position des Körpers – Rückenlage
  • die Beleuchtung

Viel Spaß beim Lesen und Forschen und… bei der Yonimassage:-)

DAS TEMPO

Tantra kultiviert Langsamkeit, stimmts? Im Vergleich zu konventionellem Sex: Ja. Aber im Vergleich mit einer ausgewachsenenTraumatherapie ist Tantra immer noch raketenschnell.

Ansätze wie Somatic Experiencing arbeiten bei entsprechenden Traumata zum Teil jahrelang daran, mit der Klientin gemeinsam Erdung und Orientierung aufzubauen, und zwar ausschließlich! Das heißt, bevor das Trauma das erste Mal direkt ins Visier genommen wird, vergehen viele Monate wöchentlicher Sitzungen damit, die Anbindung an das Hier und Jetzt wiederherzustellen – jene „Selbstverständlichkeit“, die unter der Wucht körperlicher Traumata zerbrechen kann.

Dieses präzise und zäh geduldige Vorgehen basiert nicht auf übertriebener Vorsicht, nicht auf Ideenmangel und nicht auf Angst, sondern auf dem Erfahrungswert, wie vielschichtig und komplex Trauma in unserem Nervensystem gespeichert wird – und wie umfassend sich Heilung auf das Leben der Klientin auswirkt. Frontal in das Herz der Verletzung zu greifen, in Körperkontakt und dazu noch in genitale Berührungen zu gehen, wäre in vielen traumatherapeutischen Ansätzen undenkbar.

„Oh Gott, also nie wieder Nacktheit?“

Methodische Unterschiede und Widersprüche sind keine Probleme, sondern ein Reichtum, so wie die Landschaft unserer Traumata auch. Die extreme Geduld und Umsicht der Trauma-Szene zu kennen, kann aber hilfreich sein, um sich das Wagnis einer Yonimassage nach sexuellem Missbrauch zu verdeutlichen.

Auch der Betroffenen selbst hilft dieses Wissen bei der härtesten Lektion in Sachen Heilung: Geduld.

Sollte uns während einer Yonimassage oder in einem tantrischen Seminar also das Gefühl beschleichen: „Mir geht das alles immer noch zu schnell…“, so möchte ich dazu ermutigen, dieses Gefühl ernst zu nehmen, statt es in ungeduldigen Vergleichen mit „den Anderen“ – die alle prima zurechtkommen:-) – beiseite zu schieben. Zeithaben ist wichtig, wenn wir heilen wollen. Pausen machen dürfen, wann immer wir es wollen – Abstand nehmen können – sogar „fliehen“ dürfen: gesunde instinktive Bedürfnisse unserer Körper, wenn wir uns auf sexuelles Neuland wagen.

Wir können uns nur solchen Settings freiwillig anvertrauen, die wir auch freiwillig verlassen dürfen!

Es kann also hilfreich sein, das Tempo in unserem „Experiment Tantra“ zu verlangsamen.

Wie wir den Aspekt des Tempos beeinflussen können:

Tempo meint hier das Kennenlernen der tantrischen Welt und der tantrischen Berührung. Als Masseurin solltest du darauf achten, dass in Sessions mit Überlebenden genug Zeit zur Verfügung steht. Die Berührungszeit selbst sollte mindestens 90 Minuten dauern – so hat ein Körper ausreichend Zeit, um sich in diese Erfahrung hinein auszudehnen. Um vorher und danach sprechen und integrieren zu können, läuft es auf ein Setting von isg. mindestens 2,5 Stunden hinaus.

Darüber hinaus ist gut, wenn wir uns Schritt für Schritt an die Yonimassage annähern. Ein wundervolles Beispiel für dieses Herantasten finden wir in der „Schoßraum-Arbeit“ von Tatjana Bach, die nach jahrelanger Erfahrung mit der Yoniheilmassage drei Phasen unterscheidet: die Beratung, die Berührung– und die Intim-Berührung.

Natürlich ist die Idealversion, dass du in der Nähe einer so erfahrenen und traumasensiblen Masseurin lebst und direkt mit ihr deinen Heilungsweg angehst.

Dennoch kannst du dich mit jeder Masseurin, zu der dein Bauchgefühl Ja sagt, an einem Aufbau wie von Tatjana Bach orientieren: Du vereinbarst ein Vorgespräch, danach erst eine Massage ohne genitale Berührung und schließlich und endlich, wenn alles für dich stimmt, eine Yonimassage.

Auf den Aspekt der genitalen Berührung gehe ich noch gesondert ein – an dieser Stelle nur soviel: Auch innerhalb einer genitalen Berührung können wir variieren.

Eine sog. Venuslippenmassage berührt und weckt bewusst nur die äußeren Bereiche der Yoni. Für Frauen, die Penetration als einen Trauma-Trigger erleben, ist eine solche Erfahrung viel einfacher zu integrieren – und häufig viel heilsamer, weil sich kollektive Konditionierungen wie „Sex = Penetration“ entspannen können.

 

DIE POSITION IM RAUM

Abhängig von der Ausbildung und den Vorlieben der Masseurin können Yonimassagen auf einer Massageliege oder einer Matratze am Boden stattfinden.

Für die Arbeit mit Überlebenden empfehle ich die Massage auf einer Liege, nicht am Boden.

Warum?

Weil wir, um einen Heilungsraum zu ermöglichen, uns um deutliche Unterschiede zu dem Setting des jeweiligen Traumas kümmern müssen.

Eine Matratze am Boden wirkt auf uns privater – befreundet und persönlich. Fast liegen wir in unserem eigenen Bett und erleben den tantrischen Himmel… Was so verlockend und nährend klingt, stellt nach sexuellem Missbrauch unter Umständen einen Alptraum dar.

Missbrauch nutzt fast immer die „Schwachstellen“ eines Kindes aus – seine Verwandtschaft oder Bekanntheit mit dem Täter, sein bereitwilliges Vertrauen, seine körperliche Unterlegenheit und geringere Lebenserfahrung in der Welt der Menschen. Neben vielen weiteren verwundeten Ebenen bleibt dadurch eine quälende Verwirrung zurück, was in privaten Begegnungen angemessen ist und was nicht – wodurch solche Settings häufig gefürchtet und vermieden werden.

Unnötig zu sagen: Im Setting einer Yonimassage versuchen wir nicht, diese Verdrehung oder Verwirrung aufzulösen, indem wir uns zur Freundin der Überlebenden machen und dann dafür sorgen, dass neue und gute Erfahrungen mit privaten Beziehungen gemacht werden können. Wir achten vielmehr darauf, dieses seelische Minenfeld der Verwirrung nicht zu betreten, sondern gemeinsam auf einem sicheren Boden zu bleiben.

Dazu gehört, dass wir unseren Arbeitsraum so gestalten, dass er als ein professionelles und besonderes Setting „gelesen“ werden kann. Eine Matratze, durch die wir bewusst oder unbewusst dazu einladen, sich privater und wie zu Hause zu fühlen, triggert viel zu leicht das soziale und räumliche Minenfeld des Missbrauchs, auch dann, wenn die Übergriffe selbst nicht im Bett stattgefunden haben.

Was also für viele KlientInnen einer Tantramassage reizvoll sein kann – nämlich das Setting der Massage im Erleben zu einem privaten und persönlichen Verhältnis machen zu dürfen – rutscht bei Überlebenden in den gegenteiligen Effekt. Wir können diesen latenten Trigger vermeiden, indem wir auf einer Massageliege arbeiten und so dem Nervensystem ermöglichen, den Unterschied zur Vergangenheit deutlich zu erkennen.

 

DIE POSITION DES KÖRPERS – RÜCKENLAGE

Nach traumatischen Erfahrungen sind unsere Instinkte hyperwachsam und unterlegen jede unserer Erfahrungen mit ihren Einschätzungen von Gefahr, Bedrohung und Geborgenheit.

Unabhängig davon, in welchen Positionen der Missbrauch stattgefunden hat, ist die Rückenlage eine Position, die unsere Instinkte als verletzlich einstufen und die sie versuchen zu vermeiden, solange sie sich nicht wirklich sicher fühlen.

Meiner Erfahrung nach ist dieses Empfinden für die meisten Menschen unmittelbar einleuchtend, auch dann, wenn keine negativen Erfahrungen in der Rückenlage gemacht wurden. Wir können uns an diesem Punkt also gut in das Erleben einer Überlebenden einfühlen.

Die meisten Abläufe der Tantramassage beginnen mit einem kurzen „Vorspiel“ im Sitzen und in der Rückenlage, dann folgt eine längere Sequenz in Bauchlage und danach der Hauptteil in Rückenlage. Dieser Teil beinhaltet auch die Yonimassage.

Wenn die Masseurin also zwischen den Beinen der Klientin sitzt oder neben der Massageliege steht, haben wir eine klassische Triggerposition dafür, dass sich die Klientin ausgeliefert und wehrlos fühlt. Daher ist wichtig, dass wir bewusst mit der Rückenlage umgehen und wissen, wie wir sie entschärfen können.

Wie wir den Aspekt der Rückenlage entspannen können:

Eine regulierende Bewegung, die für die Überlebende sehr hilfreich sein kann, ist, sich zwischendurch immer wieder hinzusetzen. Während der Massage laden wir die Klientin mehrere Male dazu ein, sich kurz aufzusetzen, uns auf derselben Augenhöhe anzuschauen und sich in Ruhe im Raum umzusehen. Diese Wechsel zwischen Rückenlage und Hinsetzen, wenn das Sitzen selbst mind. 1 min lang dauert, kann das gesamte Erleben der Massage ruhiger, einfacher und friedlicher machen (auch wenn es den gewohnten Flow vordergründig unterbricht).

Wenn die Klientin nur leicht verunsichert ist, können auch schon ein paar bewusste und eigenständige, aktive Bewegungen in der Rückenlage das Empfinden von Ohnmacht abfangen. Das Problem, welches sich in der Rückenlage nach sexuellen Traumata ergeben kann, ist nicht direkt, dass das Liegen selbst unangenehm wäre, sondern eine Kopplung vom Liegen an ein traumaspezifisches Gefühl, gelähmt und ausgeliefert zu sein.

Um diese innere Dynamik der Wehrlosigkeit abzufangen, sind „körperliche Beweise des Gegenteils“ sehr hilfreich. Körperliche Tatsachen – z.B. ein Arm, der sich bewegt – werden nach und nach unsere traumatischen Muster darüber, unser Arm könne sich nicht bewegen, auflösen. Denn glücklicherweise ist auch das in unseren Instinkten festgeschrieben: Was der Körper tut, ist wichtiger und realer als das, was wir in unserer Vergangenheit lernen mussten.

In unserem Fall bedeutet das: Wenn unser Erleben in eine Lähmung und Wehrlosigkeit rutscht, können wir diese Richtung abfangen, indem wir zu körperlichen Bewegungen (Bewegung=Nicht-Lähmung) einladen.

Diese Macht, die unser Nervensystem körperlichen Signalen zuspricht, ist eine starke Verbündete für das Hier und Jetzt im Verlauf einer Yonimassage. Ermutige deine Klientin immer wieder, ein paar Bewegungen und Streckungen wie morgens nach dem Aufstehen auszuprobieren, um einem latenten oder deutlichen Erleben von Lähmung entgegenzuwirken. So wird das „Abenteuer Rückenlage“ zu einem sichereren und bewussteren neuen Erlebnis.

 

DIE BELEUCHTUNG

Tantrische Räume sind berühmt für ihre warme, „höhlenartige“ Atmosphäre, ihr indirektes Licht, wie es z.B. durch Kerzen und Salzlampen entsteht. Wir wissen, dass weiches, gedämpftes Licht einen beruhigenden Einfluss auf unser Nervensystem hat – zum Beispiel achten Begleiterinnen von natürlichen und selbstbestimmten Geburten auf solche Elemente, um die ur-körperlichen Kräfte von Entspannung und Vertrauen für das Gebären zu öffnen.

Mit einer weichen Ausleuchtung des tantrischen Raumes machen wir also erst einmal alles richtig. Für die Arbeit mit Überlebenden ist aber wichtig, dass wir ggf. in den anderen Pol wechseln können: in eine klare, übersichtliche, gewohnte und „normale“ Atmosphäre. Taghelles, nüchternes Licht im Raum kann hilfreich sein, wenn die Überlebende droht, in die diffusen inneren „Nebel“ ihrer Erinnerung zu rutschen.

Hierbei geht es nicht nur um ein Dosieren von „zuviel Geborgenheit“, sondern vor allem um Bewusstsein dafür, dass das Indirekte, Atmosphärische von flackernden Kerzen und schwach ausgeleuchteten Räumen der inneren Verwirrung und Orientierungslosigkeit nach einem Trauma „zuarbeiten“ kann.

Wie wir den Aspekt der Beleuchtung anpassen können:

Erst einmal startest du mit genau der Beleuchtung, die zu deinem gewohnten Arbeits-Setting gehört und mit der du selbst dich wohlfühlst. Deine eigene Geborgenheit ist schließlich eine wichtige Ressource für eure Reise.

Richte aber zusätzlich eine Möglichkeit für helleres und „normales“ Licht ein. Auch wenn du eine solche Lampe nie benutzen solltest, kann sie ein „BackUp“ sein, durch das du sicherer und klarer ein Anker für die Gegenwart bleibst, wenn deine Klientin in ihre Vergangenheit gleitet.

Erwähn vor Beginn der Massage, dass ihr das Licht im Raum ändern könnt, wenn es sinnvoll wird – dann schlägst du deiner Klientin im entsprechenden Moment vor, die zusätzliche Lampe anzuknipsen, so dass kein plötzlicher Lichtwechsel entsteht.

Die neue Ausleuchtung im Raum wird isb. dann hilfreich, wenn deine Klientin den Lichtwechsel nutzt, um sich nochmal neu im Raum umzuschauen und die Farben und konkreten Gegenstände anzusehen. Darüber hinaus sind der Dialog und die Frage zum Setting im „Hier und Jetzt“ in sich schon wertvoll, um Orientierung und Sicherheit anzubieten.

 


Danke für dein Interesse an Tantra und Trauma! Es wäre wundervoll, wenn die Vorschläge in diesem Text dazu beitragen, dass Yonimassagen noch mehr Menschen zugänglich werden und heilsam wirken können! Du kannst diesen Post gerne weiterleiten an Menschen, die in ähnlichen Bereichen arbeiten, forschen und heilen!

Ich bin mir im Klaren darüber, dass Körperarbeit und tantrisches Hands-On schwer in Worten zu vermitteln ist. Wer die 4 Aspekte zum Setting und die folgenden Techniken lieber praktisch lernen möchte, ist herzlich zur Fortbildung „Tantra und Trauma“ in Berlin eingeladen, die ich gemeinsam mit meinem Partner Mari leite.

 

©Ilan Stephani
www.kalis-kuss.de
www.101mosh.com