Tantramassage nach sexuellem Missbrauch? #5 | Teil 3 – Wie wir Vertrauen einladen

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Im letzten Posting haben wir gesehen, wie wir das SETTING einer Yonimassage nach sexuellem Trauma anpassen können. Hier beschäftigen wir uns mit der tantrischen ATMOSPHÄRE. Wir können diesen Bereich in vier Aspekte unterteilen:

  • Vertrauen
  • Nacktheit
  • geschlossene Augen
  • Stille – Sprachlosigkeit

Wir beginnen am Anfang: Wie wir Vertrauen kreieren können:

Sexualität nicht mit fremden, sondern mit vertrauten Menschen zu erkunden, ist nicht immer eine kulturelle Konditionierung. In unseren Instinkten ist das Bedürfnis verankert, dass wir uns mit unserem Gegenüber sicher fühlen wollen, bevor wir uns in verletzliche Positionen begeben.

Dieses Gefühl, auch in einem sexuellen Kontext geborgen und sicher zu sein, wird durch sexuelle Traumata irritiert oder zerstört. Um sich trotz unserer Traumata auf angenehme körperliche Erfahrungen einzulassen, brauchen wir häufig viel Zeit, in der wir Schritt für Schritt Vertrauen zueinander aufbauen und erleben, dass sich die negativen Erfahrungen aus unserer Vergangenheit nicht wiederholen.

Müssen wir uns also ewig schon kennen, bevor wir eine tantrische Erfahrung zusammen machen können?

Nein. Es gibt viele Wege, um Vertrautheit und Vertrauen einzuladen.

Vorweg: Mit „Vertrautheit“ ist hier nicht „Privatheit“ gemeint (zu den Gefahren von privatem statt professionellem Verhalten habe ich HIER geschrieben.), sondern ein menschlich angenehmer UND authentischer Boden für die  Massage.

Die folgende „Checkliste“ nennt ein paar Möglichkeiten, durch die sich zwei menschliche (will sagen: tierische) Nervensysteme miteinander entspannen und für neue Erfahrungen öffnen können. Diese Möglichkeiten sind zum Einen eine „Erinnerung“ an selbstverständliche Gesten und natürliche Impulse. Zum Anderen sind sie eine Inspiration, um eigenen und weiteren Ideen zu lauschen.

WIE wir Vertrauen aufbauen, mag sich also unterscheiden – wichtig ist jedoch, DASS wir es aufbauen.

Eine intime und vertraute Begegnung, die keinen Verrat bedeutet, die nicht lügt und nicht ausnutzt – eine Berührung ohne Angst und verdrängtes „Fremdeln“ ist Voraussetzung für jedes heilsame sexuelle Setting.

 


Das heißt für dich als Masseurin:

Stimmt die Chemie zwischen euch?

Dein spontanes Wohlfühlen ist eine unersetzliche Ressource für ein traumatisiertes Nervensystem!

Sei so authentisch und unverstellt wie nur möglich.

Das klingt banal und sicherlich hast du nicht vor, „eine Maske“ zu tragen. Aber unsere Instinkte sind unbestechliche und hochsensible Fühler für Echtheit. Und häufig wird uns genau das zum Verhängnis, wenn wir etwas besonders gut oder richtig machen wollen – auf die Situation einer Yonimassage bezogen: wenn wir das Vertrauen eines traumatisierten Körpers gewinnen wollen. Anstatt dich also liebevoller/einfühlsamer/tantrischer zu verhalten als sonst, lass die äußeren Erwartungen an dich und deine Arbeit los, soweit du kannst.

Denn wenn wir mit Trauma im Nervensystem arbeiten, bedeuten auch die subtilen – die „ganz normalen“ Rollen unseres Lebens potentiell einen Verlust an Vertrauen. Warum? Weil wir nach Trauma instinktiv checken, wie greifbar und echt unsere Umgebung ist – eben weil diese Qualitäten verraten wurden. Wir wittern mit großer Präzision, wann unser Gegenüber eine Rolle ausfüllt oder etwas Anderes repräsentiert als einfach sich selbst. Und die tantrische Welt kann unsere Individualität ziemlich einfärben… Bleib für deine Klientin jederzeit die reale, greifbare Frau an ihrer Seite. Das hilft im Zweifelsfalle viel mehr als atmosphärischer Zauber. Wenn uns auch nur ein Moment dieser schlichten menschlichen Gemeinsamkeit gelingt, kommen unsere Nervensysteme in Wimpernschlägen miteinander im Raum an. Wenn wir Vertrautheit auf einer simplen Ebene von Mensch-Sein selbst erleben und vermitteln können, verfliegt die Fremdheit augenblicklich.

Langsamkeit.

Dieser Punkt betrifft das Tempo, auf das ich im letzten Posting eingegangen bin. Wir haben hier viele Möglichkeiten, den Ablauf einer Tantramassage zu variieren und eventuell mehrere Sessions aufeinander aufzubauen. Ein gutes Beispiel für ein liebevolles Step By Step ist die Schoßraum-Arbeit von Tatjana Bach.

Eine Frau erzählte mir, dass sie per Mail Kontakt zu der Masseurin aufbauen durfte und so ein erstes „Beschnuppern“ stattfand, noch bevor sich die beiden Frauen trafen. Das hängt natürlich von deiner Arbeitsweise und deinen Grenzen ab, kann für die Überlebende aber eine gute Möglichkeit sein, um Fremdheit abzubauen.

Fordere deine Klientin auf, aktiv Fragen zu stellen.

Durch Missbrauch neigen wir dazu, sexuellen Settings grundsätzlich mit einer passiven und willenlosen Haltung zu begegnen. Obwohl die Tatsache, dass deine Klientin sich für einen tantrischen Weg interessiert, bereits Richtung Heilung deutet, können während der Massage auch traumatisierte Aspekte auftauchen. Umso wichtiger ist es, dass während des Vorgesprächs die Fragen und Wünsche der Klientin den größten Raum einnehmen. Natürlich sind für die Dauer der Massage dann eure Spielräume klar kommuniziert – keinesfalls solltest du aus gutem Willen heraus einräumen, dass die Klientin dich körperlich aktiv berührt. Wir können aber im Vorfeld die latente Passivität einer Tantramassage abmildern, indem das Gespräch eindeutig um die jeweiligen Schwerpunkte und Wünsche der Überlebenden kreist.

Achte darauf, dass der erste echte Körperkontakt zwischen euch vor der Massage und im Stehen stattfindet, nicht erst, wenn deine Klientin liegt!

Ich empfehle hierfür eine Variation des Begrüßungsrituals, bei dem ihr beide euch im Lunghi gegenübersteht und ein paar Atemzüge lang die Handflächen aneinanderlegt. Übe dabei einen leichten Druck nach vorne aus und fordere deine Klientin auf, ebenfalls mit etwas Druck zu reagieren. Diese wenigen Momente sind für das Nervensystem deiner Klientin wertvoller, als wenn du ihr deine Lebensgeschichte erzählen würdest!

Warum? Weil sich unsere Nervensysteme im Stehen, in derselben Position und Augenhöhe, und in einer neutralen, konkreten Berührung blitzschnell gegenseitig erfassen können. Will sagen: Diese kurze Sequenz ist das perfekte Setting für unsere Körper, um einander in kürzester Zeit kennenzulernen – und um einander zu vertrauen. (Unsere Instinkte checken grundsätzlich zuerst, ob Gefahr droht, bevor sie den Weg in die Intimität freigeben).

*Lass dich von den anderen Punkten in dieser Artikelserie inspirieren, um weitere Ideen für den Aufbau von Vertrauen zu bekommen. 

 


Das heißt für dich als Klientin:

Stimmt die Chemie zwischen euch?

Wohlfühlen gehört zum Pflichtprogramm:-)

Informier dich vorher über Tantra und tantrische Massagen.

Keine Angst, dafür musst du keine dicken Bücher lesen! Ich empfehle dir die Kurzanleitung von Yella Cremer zum Thema Yonimassage. Mit dieser Bilderkarte kannst du die einzelnen Striche der Yonimassage schon vorab kennenlernen und an dir selbst ausprobieren. Das macht dich automatisch mit dem Setting vertrauter.

Bring einen vertrauten Gegenstand oder einen Duft mit, der in dir das Gefühl weckt, nicht „in der Fremde“ zu sein.

Bedenke dabei, dass du während der Massage nackt bist (es sei denn, ihr habt etwas Anderes vereinbart) und dass ein Parfum oder ätherisches Öl also am besten an deiner Haut aufgetragen wird (und nicht in der Nähe deiner Schleimhäute).

Stell deiner Masseurin Fragen und äußere deine Bedenken.*

Hierbei geht es um eine zarte Balance: Wir wollen nicht in eine endlose Liste von „Was wäre, wenn…“ schlittern, aber auch nicht unsere Ängste im Vorfeld verschweigen, weil wir ja üben, „die Kontrolle aufzugeben“ (oder etwas in der Art:-)) Eine gute Richtschnur ist, dann zu sprechen, wenn dich das Sprechen beruhigt und nährt. Wenn wir in diesem Rahmen bleiben, ist Worte zu finden statt „wortlos über sich ergehen zu lassen“ ein Riesenschritt in Sachen Traumaheilung!

*Finde in den anderen Texten dieser Artikelserie Anregungen, was für dich intuitiv Sinn macht und woraus du deine eigenen „Tricks für mehr Vertrautheit“ anleiten kannst.

 


Ich bin mir im Klaren darüber, dass Körperarbeit und tantrisches Hands-On schwer in Worten zu vermitteln ist. Wer die Variationen und Hinweise aus dieser Artikelserie praktisch lernen und vertiefen möchte, ist herzlich zur Fortbildung „Tantra und Trauma“ in Berlin eingeladen, die ich gemeinsam mit meinem Partner Mari leite.

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Du kennst Menschen, die sich ebenfalls mit Tantra oder Trauma befassen? Ich freue mich, wenn du diese Artikelserie weiterleitest, damit wir über diese tiefen Themen noch mehr voneinander lernen können!

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©Ilan Stephani
www.kalis-kuss.de
www.101mosh.com