Kraft haben
Wir Frauen sind kraftvolle Wesen. Es ist nicht unsere Schuld, dass man uns wenig darüber erzählt hat.
Unter einer Kultur, die es wichtiger findet, „wichtig“ zu sein, und richtiger findet, „richtig“ zu sein, hat die Tigerin in uns erschöpft ihre Krallen zurückgezogen.
Seitdem ist sogar das mit der Power-Frau nicht mehr so witzig. Kraft klingt für uns nach Kontraktion. Und „endlich in seine Kraft zu kommen“ ist anstrengend. Wir aber sind müde.
Sollte nicht möglich sein, diesen Bluff um die „Kraft“ zu beenden? Eine Definition des Begriffes zu finden, die uns gerecht wird, statt uns eine neue aufdringliche Forderung zuzumuten? Sollte nicht jenseits von „in deine Kraft kommen“ ein Erleben von ruhiger Klarheit, von KRAFTvollem Vertrauen möglich sein?
Aktuell sieht es nicht so aus. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein: als wollte die Tigerin plötzlich selbstständig beweisen, in Wahrheit eine Hauskatze zu sein… Vielleicht, so träumt sie eingeschläfert vor sich hin, sind Frauen ja einfach nicht geschaffen fürs Aufstampfen und Kämpfen und Siegen.
Sollten wir nicht lieber mitspielen statt Recht zu haben? So kratzen wir die Dinge zusammen, die die große Welt nicht haben wollte, machen sie zu den „weiblichen Werten“, erforschen weiche Hingabe und weisen Rückzug, üben den Blick aufs große Ganze und uns selbst nicht so nach vorn zu spielen, und finden schließlich, all das sei „auch kraftvoll“.
Mag ja sein. Es ist dennoch eine traurige Geschichte. Weil wir ja nicht weise werden durften, sondern weise werden mussten. Wir hatten ja nicht irgendwann keine Lust mehr auf Triumphe, sondern wir hatten Angst vor der Aschenbahn und sind zum Wettkampf nicht angetreten.
Was tun? Nicht wahr – sich gemeinsam einreden, es genauso gewollt zu haben. So rühren wir in unserer Küchenbiologie, denken verlegen an das Beerensammeln in der Steinzeit, an Testosteron und Mutterinstinkte, würzen das Ganze mit spirituellen Zitaten und Ausgrabungen auf Atlantis und behaupten schließlich, das mit der Kraft-Verteilung auf der Erde hätte seinen eleganten Sinn, weil ja wir Frauen von der Venus kämen. (Auf der Venus herrschen im Mittelwert 465 Grad Celsius. Also zumindest ich komme da nicht her.)
Ich finde merkwürdig, wie eifrig Frauen sich dafür engagieren können, ihre eigene Schwäche zu belegen. Und ich glaube, dass uns dieser „Gedanken-Körper“ über körperliche Kraft und Nicht-Kraft an entscheidenden Punkten viel kostet. Viel Kraft kostet.
Brisant ist an dieser Diskussion ja nicht nur, ob und wie sehr Frauen kraftvoll sind, sondern auch, welche inneren Motive sie zu dieser oder jener Meinung verleiten. Und wenn Frauen mir ihre Gründe vortragen, weshalb sie es eher auf die weibliche Tour statt kraftvoll und feurig wild entschlossen versuchen wollen, sind mir ihre Motive äußerst suspekt.
Aus diesem Grund (aber auch aus einem inhaltlichen) bin ich dagegen, dass wir unsere Kraft in unserer Hingabe suchen. Ich bin dafür, dass wir unsere Kraft in unserer Kraft suchen.
An unserer Weichheit brauchen wir nicht weiter zu feilen (die feilt sich dann schon von alleine, wenn die Tigerin sich strecken darf). Wir brauchen uns nicht länger darüber zu belehren, wie klug und weise es sei, nicht kämpfen zu müssen. Wir brauchen auch nicht noch mehr Einsichten darein, dass unsere Umwelt uns spiegelt und dass das alles ja auch sowas von mit uns zu tun hat.
Mich interessiert an diesem Punkt nicht der Mind-Fuck, sondern das Leid in unserem Nervensystem. Ein Leben ohne Kraft ist automatisch ein Leben der Selbstverleugnung, und ist darin ein Leben in Angst. Wir dürfen nicht hochfahren, und deshalb kommen wir nicht runter. Nur noch die Überwindung scheint uns leicht zu fallen. So schläft die Power-Frau auf dem Rücksitz ihres Lebens ein.
Unser beiläufiges Geflunker, unser ungefähres Halbwissen, das wir uns mit plötzlicher Großzügigkeit so durchgehen lassen, verbirgt nun leider einen Punkt, den wir gut hätten gebrauchen können: echte Orientierung.*
*Wo liegt der stärkste Muskel im menschlichen Körper? Im weiblichen Becken. Wer stellt die absoluten Rekorde für Ultra-Langstrecken auf? Schlagt bei den Frauen nach. Und wie viele Männer rechnet das alte Tantra, um der orgasmischen Kraft einer Frau gerecht zu werden? Ungefähr sechs.
Schade also, dass uns das Thema der eigenen Kraft so sehr eingeschüchtert hat. Eine Kraft, wie unsere Körper sie in sich tragen, würde uns ja gar nicht verschrecken wollen, sondern nähren. Diese Kraft wäre nicht grob, auch nicht zu uns selbst. Wir würden sie nicht in der Überforderung lernen müssen (und dort nicht lernen können), sondern im Spüren. Wir würden entspannen statt kollabieren. Und lachen statt hassen.
Ich behaupte also, dass wir uns eben nicht anstrengen müssen und nicht verbessern können, wenn es darum geht, Kraft zu haben. Vielmehr finden wir ein friedliches, mutiges Rudel, um gemeinsam sanft die Richtung zu ändern, in der wir uns suchen. Lasst Spüren, Atmen und Tanzen zu unseren Gebeten werden. Denn ich bin überzeugt – weibliches Leben, gleichgültig, in welchem Dschungel dieser Erde wir es leben – kann friedlich, kraftvoll und eindeutig sein.