Klänge im Körper-Kosmos #1
Im Gespräch mit der Musiktherapeutin und Tanz- und Stimmlehrerin Hannah Breithaupt.
Unser MOSH-Talk #1!
Auf diesem Blog geht es ja viel um unser Nervensystem und seine Bedeutung für die Heilung von Traumata. Kannst du etwas Allgemeines sagen über die Wirkung von Musik auf unser Nervensystem?
Unser Nervensystem reagiert unwillkürlich auf Musik, der Körper beginnt – sichtbar oder unsichtbar – mitzuschwingen. Musik wird über den Hörnerv direkt zum limbischen System, dem Hypothalamus und zum Hirnstamm geleitet. In der Musiktherapie sprechen wir von ergotroper Musik (die den Sympathikus stimuliert) und trophotroper Musik, (die den Parasympathikus stimuliert).
Entspannende, also trophotrope, Musik kann zu Blutsdruckabfall, Verlangsamung der Puls- und Herzfrequenz und zu einem Gefühl der inneren Ruhe beitragen.
Singen hat einen noch stärkeren und direkteren Einfluss auf das Nervensystem. Der Körper tönt ja immer und automatisch in seiner Eigenschwingung! Diese eigene Körpermusik ist natürlich perfekt auf mich abgestimmt. Bei ihr kann es kein Zuviel oder Zuwenig geben, sie kann nicht unpassend sein, wie das bei Musik von außen der Fall sein könnte.
Singen hat dadurch das Potential, die verschiedensten Glücks – und Bindungshormone auszuschütten, wie zum Beispiel Oxytocin und Endorphine. Singen kann den Kortisolspiegel (Kortisol ist ein Stresshormon), den Blutdruck und die Herzfrequenz senken.
Darüber hinaus hat die Kehlkopfmuskulatur eine direkte Verbindung zum Vagusnerv, der ja eine Schlüsselrolle spielt bei der Regulation im Nervensystem.
Und natürlich beeinflusst Singen den Atem und den Muskeltonus, es verlängert die Ausatmung, führt zu einer vertieften Zwerchfellaktivität und massiert dadurch Magen und Darm.
Natürlich sind das keine mechanischen, unwillkürlichen Vorgänge und viele Menschen, vor allem in unserem Kulturkreis, haben Hemmungen, einfach zu singen. Ich habe oft gehört dass sie als Kinder zum Beispiel über ihr Singen oder ihren Stimmausdruck beschämt wurden, indem ihnen jemand sagte, sie können nicht singen. Wenn aber in einer Situation gesungen wird, in der der Körper entspannen kann, erleben die meisten die positiven Auswirkungen von Musik und Singen.
Musik und vielmehr noch Singen geht „unter die Haut“, kann uns Gänsehaut machen oder zum Weinen bringen – es ist ein großartiger Ausdruckskanal für Emotionen. Vor allem, wenn Musik an positive emotionale Erlebnisse und Erinnerungen geknüpft wird, kann sich ihre Wirkung immens verstärken. Das geht so weit, dass wir durch Musik und Singen in Flow-Zustände getragen werden können.
Ehrlich gesagt dachte ich lange, in der Musiktherapie würde ich als Klientin einfach mit Tönen behandelt – ich würde sozusagen gebadet werden in einem Meer aus Klängen und Schwingungen. – Wie kann ich mir denn das Spektrum von Musiktherapie vorstellen? Mache ich aktiv Musik – oder höre ich auch manchmal nur zu? Was ist in diesem Kontext überhaupt „Musik“? Hast du ein paar Beispiele dafür?
Das Phänomen der (heilsamen) Wirkung von Musik auf den Menschen begründet die musiktherapeutische Forschung unter anderem auch mit vorgeburtlichen musikalischen Erfahrungen. Der erste Sensor in der embryonalen Entwicklung ist der Sensor „Berührung“ für taktil-haptische Erfahrungen, der maßgeblich ist für Reiz-Reaktionsbildung, für die Entwicklung des Körpers. Berührung und Bewegt-Werden sind Nahrung für die Nerven, die sich daraufhin entwickeln können.
Als nächstes bildet sich der Sensor des Hörens, doch bereits vor dem Hören nimmt der Embryo Schwingungen und Rhythmen wahr, die ihn, (wie wir das später bei Musik auch tun) mitschwingen lassen. Wenn das Gehör als Sinnesorgan hinzukommt (nach 4 bis 4,5 Monaten), werden Schwingungen in einer Gleichzeitigkeit mit dem Hören erlebt. Der Körper des Embryos nimmt die die Stimme der Mutter, Organgeräusche der Mutter und natürlich den Herzschlag auf. (Dieser wird in der vorgebritiche Zeit 26-28 Millionen Mal aufgenommen.)
Unsere Lust am Tanzen ist also schon im pränatalen Zustand angelegt – die Verbindung des bewegten Körpers zu Geräuschen, Klängen, Rhythmen: Musik. Der intra-uterine Zustand (unsere Entwicklung in der Gebärmutter) wird meistens (abgesehen von vorgeburtlichen Traumata) als ein Zustand von Geborgenheit, Sicherheit, Zugehörigkeit erlebt. Auch später werden mit dem Rhythmus oder mit rhythmischer Musik in der Musiktherapie diese Phänomene im Erleben verbunden: Sicherheit, Stabilität, Geborgenheit, Struktur, Erdung u.s.w.
Es wird von rezeptiver und aktiver Musiktherapie gesprochen.
Bei rezeptiver Musiktherapie wird die Klientin bespielt, entweder „live“ von der Musiktherapeutin oder vom Band.
Wichtig ist dabei, dass das Erlebte danach in Worte gefasst wird und dadurch bewusst wird. In meiner eigenen Erfahrung habe ich es als sehr wohltuend und nährend empfunden, bespielt, betrommelt und vor allem besungen zu werden.
Obertöne als „Nahrung für die Seele“
Livemusik ist besser als Tonaufnahmen, weil dann die Schwingungen stärker und mehr Obertöne da sind, die bei Aufnahmen oft aus dem Klangspektrum verschwinden. Obertöne, die vor allem bei live gespielten Instrumenten entstehen, sind das Phänomen, dass ein Ton ein ganzes Klangspektrum von vielen Tönen hat – man denke an eine Klangschale, einen Gong und so weiter, das sind Instrumente mit großem Obertonspektrum.
Räume mit besonderer Akustik verstärken Obertöne (Kirchen wurden teilweise mit dem Wissen gebaut, wie gute, reiche Klänge sich entfalten können, also wie die Obertöne verstärkt werden… Obertöne „nähren“ uns (weswegen ein Livekonzert intensiver erlebt wird als Musik aus der Box) und sie sind wichtig für das feinstoffliche Mitschwingen!
Selbst eine andere Person live zu bespielen, zu betrommeln und zu besingen ist auch sehr besonders, weil die Spielende (oder Singende) aus dem Moment heraus für die Person etwas spielt, was natürlich sehr viel individueller und persönlicher ist.
Gerade das Besungenwerden, etwas, das natürlich einen Rahmen des Vertrauens braucht, kann sehr berührend und bereichernd sein. Dabei müssen nicht unbedingt Lieder gesungen werden – es kann auch intuitiv „getönt“ werden. Im Umgang mit Kindern ist uns das Beruhigen durch Singen ja vertraut – es ist schade, dass wir unter Erwachsenen diese Fürsorge weglassen!
In der aktiven (und häufiger eingesetzten) Musiktherapie geht es darum, selbst zu spielen.
Dabei sollte eine Auswahl an unterschiedlichen, leicht spielbaren Instrumenten vorhanden sein. Die Klientin sucht sich ein Instrument aus, das sie anspricht. Automatisch wählt sie die Gestalt und den Klang, der für sie und ihre „Stimmung“ gerade am besten passt. Das Instrument gibt eine Resonanz, es spiegelt das momentane Befinden.
Und es kann bei unserer Tendenz, über alles viel zu reden, entspannend, wohltuend und erfrischend sein, Kommunikation und Kontakt (in Gruppen oder einzeln) nicht über verbale Sprache zu erfahren, sondern über einen musikalischen Ausdruck. Dabei geht es natürlich nicht um einen künstlerischen Anspruch, sondern um ein Medium für den momentanen, individuellen Ausdruck. Setze ich mich an den Flügel, oder an eine Triangel? Auch an einer Trommel kann ich 101 verschiedene Arten haben zu trommeln, in unterschiedlicher Lautstärke, Tempo, mit Fingern, der ganzen Hand, ich kann streicheln, hämmern, klopfen: alles möglich! Diese Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten, ohne einen Zwang, der vorschreibt, wie etwas zu klingen hat, kann sehr befreiend sein und dient als Brücke, um im Anschluss zu einem verbalen Ausdruck zu gelangen. Wie war es? Was habe ich dabei empfunden? Oft gelangen Klient_innen dabei in einen Jetzt-Zustand, der zunächst weg von Gedanken führt und der hilft, die momentanen Gefühle ausdrücken zu können.
Das Stichwort „Spiel“ hat eine wichtige Bedeutung: Musikalische, stimmliche Improvisation im Rahmen von Selbsterfahrung ist ein Spiel für Erwachsene.
So empfinde ich es oft: ein Ausdruck meiner selbst und ein Kontakt mit anderen, der ohne Leistungsdruck, sondern mit Spaß und Lebendigkeit, mit Überraschungen einhergeht, die eine tatsächlich erlebte Erfahrung von Kontakt sind. Eine Art Kontakt, bei dem sich völlig neue Facetten zeigen können.
Kinder lernen, erfahren sich und die Welt im Spiel, im Ausprobieren. In gewisser Weise gibt es dieses kindliche und dennoch erwachsene Spielgefühl in der musikalischen Improvisation, in der wir Neues probieren und die Welt anders erfahren können.
Als Richtung würde ich sagen: Beim aktiven Musizieren erlebt der Mensch sich selbst und die Musik intensiver und emotionaler als bei der rezeptiven Musiktherapie.
Auch hier ist es so, dass der Einsatz der eigenen Stimme und Bewegung direkter mit uns verbunden ist, der eigene Körper stärker als Ausdrucksmittel erfahren wird und das Erleben grundsätzlich intensiver ist. Natürlich gibt es dazu auch mehr Hemmschwellen, vor allem in unserer Kultur, wo Singen weniger normal ist und eher den Profis überlassen wird und viele Menschen auch Hemmungen haben zu singen, weil ihnen irgendjemand mal gesagt hat, sie könnten es nicht. Es zeigt sich, wie sehr die Stimme ein Ausdruck unserer selbst ist, und in dem Sinne, wie verletzlich sie auch ist. Umso mehr können sich Gefühle von Lebendigkeit zeigen, wenn das Singen zugelassen wird.
Und dabei können sich nicht nur glückliche Gefühle den Weg bahnen, sondern zum Beispiel auch Trauer und Wut. Gerade bei letzteren braucht es den Rahmen der Sicherheit und des Vertrauens.
Und wie können wir das auf sexuelle Heilung anwenden? Dazu demnächst in „Klänge im Körper-Kosmos #2“!
Und HIER geht es zur Website und den aktuellen Kursen von Hannah Breithaupt!
©Ilan Stephani