Das mit der Hingabe #3

Hier kommt die Fortsetzung von Das mit der Hingabe #2!

Die Frage lautet: Wie reparieren wir unsere Grenzen?

Bisher haben wir gelernt, unsere Sehnsucht nach mehr Hingabe neu zu lesen: als eine Frage von Grenzen. Wo wir uns sexuell nicht öffnen, wo wir nicht vertrauen können, liegt dahinter häufig ein Schleier der körperlichen Angst um unsere Grenzen.

Wenn wir uns nicht hingeben können, dann üben wir, uns zu schützen. Hier ergeben sich 4 Ebenen, auf denen wir ansetzen.

Um unsere Grenzen zu reparieren, ändern wir…

  1. Unser Denken („Mindset“)
  2. Unsere Bilder – Klischees, Ideen und Erwartungen, wenn es darum geht, Grenzen zu verteidigen.
  3. Unseren Körper (Atmung, Haltung, Stimme und Bewegung)
  4. Unsere Gefühle

Jeder Heilungsweg ist anders. Aber jeder Heilungsweg wird diese 4 Ebenen berühren, bewegen und verändern.


1. Unser Denken („Mindset“):

Radikales Umdenken. Damit beschäftigen sich die beiden Blogposts Das mit der Hingabe #1 und Das mit der Hingabe #2.

Wo das Thema Hingabe auftaucht, verweist es auf die eigentlichen Fragen: „Bin ich hier sicher? Mit mir? Mit dir?“

Ein einfaches Ja oder Nein, welches unsere Körper in den Bruchteilen einer Sekunde wissen, ist im menschlichen Alltag zu einem komplizierten Minenfeld aus Zweifeln und Strategien geworden…

Nun ist es ja nicht so, dass wir nach einem Trauma grundsätzlich kein „Nein!“ mehr nutzen würden. Sobald ich Frauen vortrage, wie zentral das mit den Grenzen sei für das mit der Hingabe, ist die häufigste Reaktion der höfliche Hinweis darauf, dass unser Nein-Sagen nun wirklich nicht zu kurz komme. Im Gegenteil – wir sagen zu allem und jedem Nein und landen mit unserer chronischen Abwehr genau dort, wo wir nicht landen wollten: in der Einsamkeit.

Diese Form des Nein-Sagens ist nicht, was ich meine. Die Türen, die Menschen uns öffnen wollen, zuzuschlagen, ist eine Reaktion auf verletzten echten Schutz – es ist eine Kompensation, der Versuch, den Schaden zu begrenzen, keine Heilung.

Nein-Sagen ist also nicht gleich Nein-Sagen. Im Gegenteil. Wir sagen nur dann zwanghaft und zu allem Nein, wenn wir innerlich davon überzeugt sind, unsere Grenzen nicht schützen und verteidigen zu können.

Chronisch Nein zu sagen beruht also auf dem gleichen Trauma wie chronisch Ja zu sagen. Beidem liegt die Erfahrung zu Grunde, aus dem eigenen Revier gejagt worden zu sein.

Wir behalten nach der traumatischen Situation einen gewissen Spielraum bezüglich dessen, wie wir auf die Wunde reagieren, aber unser Denken und Handeln bleibt gezeichnet: Grenzen setzen isoliere uns – und Kontakt bedeute ein graduelles „Opfern“ der eigenen Grenzen.

Wenn wir üben, ein echtes Nein zu sagen und zu vertreten, dann deshalb, damit sich die verschobenen Manöver der chronischen Abwehr bzw. Selbstaufgabe beruhigen und auflösen können – weil sie dem sozialen und offenen Tierwesen in uns nicht entsprechen.

So verinnerlichen wir ein anderes, ein „wesentliches Denken“ über das mit der Hingabe.

2. Andere Bilder

Bilder diktieren unser Erleben, unseren Körpern und Erfahrungen mehr, als uns lieb ist.

An dieser Stelle geht es nicht um die bewussten positiven Bilder, die wir als sexuelle Fantasien nutzen können, sondern um die unbewussten negativen Bilder, die wir aus Hollywood inhalieren, die uns aus Pornos entgegenströmen und die in unseren Klischees von Weiblichkeit und Schönheit liegen.

Milliardenschwere Märkte unterlegen unseren individuellen Sex mit dieser kollektiven Behauptung: Frauen können ihr Revier nicht gegen Männer verteidigen.

Diese Behauptung ist falsch. Sie ist ausgedacht. Keine Faser unserer Instinkte gibt dieser Behauptung Recht. Aber unter unzähligen Bildern sind unsere Körper stumm geworden.

Der Knackpunkt ist, dass uns selbst nie etwas sexuell „wirklich Schlimmes“ passiert sein muss, damit diese kollektive Behauptung dennoch unsere sexuelle Hingabe und Lust einschränkt. Ganz so, als sei jede Penetration behaftet mit der latenten, unbewussten, flüsternden Angst, sie könne ebensogut gegen unseren Willen geschehen und sei deshalb weniger vertrauenswürdig.

Das ist tragisch, zumal es unendlich viele Möglichkeiten in unseren sexuellen Begegnungen einschränkt, frustriert und beschämt.

Im Sinne unseres Projektes, Grenzen zu reparieren, brauchen wir also andere Bilder in unserem Kopf als die der Frau, die wehrlos vergewaltigt werden kann (es sei denn, ihr Held rettet sie in letzter Sekunde).

Die bisher beste Möglichkeit, die ich dafür gefunden habe, sind bewegte Bilder – Videos, die unseren Augen, unserem Nervensystem und unseren Instinkten das vorführen, was sich in uns ohnehin aussprechen möchte. Wir schauen uns sozusagen Bilder an, die uns an unser Körper-Wissen VOR den Bildern erinnern…

Die folgenden Videos sind Vorschläge für dich – Youtube-Clips der Methoden „Krav Maga“ und „Model Mugging“ (welches meinem heißgeliebten TigerWork ähnelt).

TRIGGERWARNUNG: In diesen Filmen und Methoden werden realistische Übergriffe auf Frauen nachgestellt. Wenn du von dir weißt, dass dich solche Bilder triggern, überspring bitte die folgenden Links. Alternativ zu ihnen kannst du auf Youtube „Selbstverteidigung Frauen“ suchen und findest viele Dokumentationen, die weicher und indirekter mit dem Thema umgehen.

Wenn du dir die Videos ansehen möchtest, dann tu das am besten in einer freien Minute, in der du die Zeit und den Fokus hast, um „körperlich zuzuschauen“ – währenddessen tief zu atmen, deine Augen zu entspannen, den Boden und die Erde unter dir zu spüren und diese neue-alte Botschaft „unter deine Haut“ zu lassen. So verankern sich nach und nach solche Bilder in deinem Erleben, die deine Grenzen stärken, statt sie zu unterlaufen.

Was spürst du während der Bilder? Welche Empfindungen hast du im Körper? Entsteht ein Split zwischen deiner Meinung zu den Bildern und deiner körperlichen Resonanz? Taucht dein eigenes Selbstbild („Sowas kann ich!“ oder „Sowas würde ich mich nie trauen!“ o.ä.) in diesem Erleben auf? Sieh diese Empfindungen, Fragen, Gedanken und Gefühle als Fingerzeige auf deiner Landkarte – in welcher Weise das Diktat der weiblichen Unterlegenheit in dir gelagert ist und wie du dich bisher dazu verhalten hast.

Oh, und bitte beweg deinen Körper jetzt mehrere Atemzüge lang, um nicht in einen Freeze zu gleiten… (Ist es nicht merkwürdig, dass wir entspannter und weniger kritisch zusehen können, wenn eine Frau unterliegt als wenn sie kämpft – und gewinnt?)

Es ist ungeheuer wichtig, dass wir diese Bilder kennen. So „tauen wir innerlich auf“ – lösen unser Nervensystem aus einer heimlichen und unbemerkten Resignation… und sehen, dass die Kraft und Eindeutigkeit dieser Frauen in ihrem Wesen kein Ergebnis von Training sind, sondern in unseren eigenen Instinkten liegen.

Um diesen Punkt, dieses verblüffende Aufwachen aus unserer kulturellen Verdrehung und Verwirrung kreisen auch die meisten Gespräche in unseren Seminaren TigerWork. Es ist ein essentieller Prozess, sich an selbstverständliche weibliche Revier-Verteidigung als „Hintergrund-Bild“ für unser ganzes Leben zu erinnern.

Eine Kultur, die diese kluge, ruhige Wachsamkeit unserer Körper fördert – die Mädchen und Frauen sieht und bestärkt in ihrer körperlichen Kraft, legt das beste Fundament für glückliche sexuelle Begegnungen, Hingabe und Bindungen ohne Angst.

Aber… „Unterwerfung kann ja auch sexy sein.“

Ich möchte an dieser Stelle noch kurz auf den Einwand eingehen, wir würden sexuelle Anziehung und Stimulation verlieren, wenn wir uns aus unserer körperlichen Unterlegenheit lösen.

„Unterwerfung kann ja auch sexy sein.“ Das stimmt. Unterworfen zu werden ist für viele Frauen (und nicht nur Frauen) eines der stärksten sexuellen Turn-Ons. Das widerspricht nicht unserer Befreiung aus dem gesellschaftlichen Brainwashing, Frauen hätten keine andere Wahl.

Tatsächlich können wir sexuelle Settings aus Unterwerfung und Dominanz umso vollständiger erleben, je sicherer sich unsere Körper in ihren Grenzen verankern dürfen! Der Unterschied, um den es hier geht, liegt in der Abfolge in unserem Nervensystem:

  1. Schritt: Sicherheit (Schutz meiner Grenzen)
  2. Schritt: Annäherung (Knistern… Kontakt…)
  3. Schritt: Berührung (inkl. hingabevoller Sex)
  4. Schritt: Bindung

Sein eigenes Revier zu verteidigen, betrifft Stufe 1 – da sind wir vom Sex weit entfernt.

Lust auf Unterwerfung zu haben, betrifft Stufe 3 – Spielarten von Kontakt – da haben wir das Fundament aus intakten Grenzen (hoffentlich) schon gelegt.

Wenn uns nun eine Kultur erzählt, weibliche Unterwerfung sei sexy, sagt sie damit vordergründig etwas „Richtiges“ – jubelt uns aber eine buchstäblich lebensgefährliche Verwechslung von zwei verschiedenen Ebenen unter.

Sein eigenes Revier nicht verteidigen zu KÖNNEN, ist ein Alarmzustand in unserem Nervensystem – der Überlebens-Modus.

Sich überwältigen lassen zu WOLLEN, ist dann möglich, wenn wir aus dem Überlebens-Modus zurück in unsere Grenzen gefunden haben – wenn wir leben und begegnen, statt Angst zu haben.

Dass wir kulturell an diesem Punkt so verwirrt sind, anfällig dafür, erfundene Ungleichgewichte als „wahr“ zu erleben, zeigt, wie sehr sexuelle Grenzverletzungen ein kollektives Minenfeld geworden sind.

Bewusst dieser Flut an Erfindungen das Reale entgegenzusetzen – entschlossene, mutige, kraftvolle Frauenkörper – diese Bilder einzuatmen und zu erinnern, das repariert im Laufe der Zeit unsere inneren Bilder über das mit der Hingabe.

In welchen Situationen würdest du dich anders fühlen und anders verhalten, wenn die hier besprochenen Bilder wieder natürlich für dich geworden wären? Und was ist mit dem Körper und unseren Gefühlen?

Lies weiter in Das mit der Hingabe #4!

 

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©Ilan Stephani
www.kalis-kuss.de
www.101mosh.com